Whitepaper Terminologie-Systeme in Medizin und Pflege
Der Einsatz digitaler Technologien im Gesundheitswesen und insbesondere moderne E-Health-Anwendungen wie z.B. elektronische Patientenakten sind ohne medizinische und pflegerische Terminologiesysteme, die die Basis für eine strukturierte und semantisch eindeutige Datenerfassung bilden, nicht mehr denkbar. Terminologiesysteme definieren die hierfür notwendigen Konzepte, deren Bedeutung und Relationen sowie die zugehörigen sprachlichen Ausdrücke in einer oder mehreren Sprachen. Sollen Daten nicht nur erfasst sondern einrichtungsintern und übergreifendend ausgetauscht werden – womöglich über Ländergrenzen hinweg – spielt die Nutzung von Referenzterminologien, die ein gemeinsames Bezugssystem für die terminologiebasierte semantische Interpretation der Daten bilden, eine zentrale Rolle. Referenzterminologien werden so zu einem Schlüsselthema für die Etablierung von semantischer Interoperabilität zwischen Systemen (1).
Beispiele für international genutzte Referenzterminologien sind LOINC (2), SNOMED CT (3) und ICNP (4). LOINC (Logical Observation Identifiers Names and Codes) beinhaltet strukturierte Bezeichner für Untersuchungs- und Testergebnisse aus Labor und Klinik, und wird z.B. für die Kommunikation von Laborbefunden eingesetzt. Die umfangreiche Nomenklatur bzw. Ontologie SNOMED CT (Systematized Nomenclature of Medicine – Clinical Terms) beinhaltet medizinische Konzepte und Terme für Krankheiten, Prozeduren, Anatomie, pharmazeutische Produkte usw. und findet beispielsweise Anwendung zur Darstellung von Informationen in elektronischen Patientenakten (ePA). Die internationale Pflegeterminologie ICNP (International Classification of Nursing Practice) unterstützt demgegenüber im Bereich der Pflege die Erfassung von Diagnosen (Pflegephänomenen), Pflegemaßnahmen und Pflegeresultaten und wurde vom International Council of Nurses (ICN) für die Dokumentation in der Pflegepraxis entwickelt.
Auf nationaler wie auf internationaler Ebene lässt sich im Gesundheitsbereich eine zunehmende Verwendung internationaler offener Standards für Kommunikation und Infrastruktur verzeichnen – allen voran sind HL7 (Health Level 7) und IHE (Integrating the Healthcare Enterprise) zu nennen (5; 6; 7; 8). Die Verwendung von HL7 V2 ist Standard im stationären Bereich und HL7 V3 CDA (9) findet eine zunehmende Verbreitung (10; 11; 12). IHE- und HL7-konforme Komponenten finden sich dementsprechend in den Portfolios einer Vielzahl von Softwareherstellern. Bei der Verwendung von Referenzterminologien – also im Bereich der Semantik – ergibt sich jedoch ein ganz anderes Bild. Während eine Reihe von terminologiebasierten Lösungen eingesetzt wird, erfolgt die Nutzung von Referenzterminologien wie LOINC, SNOMED CT und ICNP in Deutschland nur in sehr geringem Umfang.
Im Gegensatz zu Referenzterminologien werden Klassifikationen wie beispielsweise die ICD (International Classification of Diseases) in Deutschland und international bereits flächendeckend für die Kodierung von Diagnosen benutzt und bilden die Basis für Abrechnung und Controlling im stationären Bereich (13). Während Klassifikationen im allgemeinen Sachverhalte – häufig zu statistischen Zwecken – aggregieren, indem sie von bestimmten Details abstrahieren, zielen Terminologiesysteme darauf ab, medizinische Fakten möglichst detailgenau darzustellen. Hierdurch können diese direkt im Behandlungs- bzw. Pflegekontext für die medizinische Dokumentation genutzt werden und sind deshalb prinzipiell für den Aufbau elektronischer Gesundheits- oder Patientenakten vorzuziehen (14), die beispielsweise vom E-Health-Gesetz vorgesehen werden (15). Klinische Forschung auf zusammengeführten Datenbeständen, wie dies von der BMBF-Ausschreibung „Medizininformatik“ adressiert wird (16), ist ebenfalls ohne gemeinsame Terminologien nicht möglich.
Um das mit Referenzterminologien verbundene Thema semantische Interoperabilität in Deutschland voranzubringen, wurde durch den bvitg e.V. zusammen mit dem BMG und dem BMWi im Jahre 2013 der Expertenworkshop „Medizinische Terminologie- und Ontologiesysteme in Deutschland“ durchgeführt. Auf Basis der Beiträge der eingeladenen Fachleute aus Industrie, Administration und Wissenschaft wurden 20 Kernthesen für die Förderung semantischer Interoperabilität in Deutschland entwickelt, deren Themen im vorliegende Whitepaper einer Prüfung hinsichtlich der tatsächlichen Entwicklung in den letzten Jahren unterzogen werden sollen.
Die Themenfelder der 2013 vorgenommenen Analyse bilden auch die Basis für das vorliegende Whitepaper. Anhand einer Reihe von Anwendungsszenarien aus Medizin und Pflege wird der konkrete Nutzen von terminologiebasierten Softwarelösungen dargestellt mit Blick auf die Verfügbarkeit und Nutzung von Referenzterminologien, sowie das Marktumfeld, welches durch Finanzierungs- und Fördermöglichkeiten, regulative Rahmenbedingungen und strukturelle Gegebenheiten gekennzeichnet ist. Dabei steht die Frage im Vordergrund, welche Entwicklungen stattgefunden haben und wie der politische Handlungsbedarf heute – also vier Jahre später – aussieht. Als Anwendungsgebiete werden verschiedene Facetten der strukturierten Dokumentation in Medizin und Pflege sowie die einrichtungsinterne und –übergreifende Kommunikation betrachtet.
Das vorliegende Whitepaper ist wie folgt gegliedert: Nach einer Begriffsklärung in Kapitel 2 wird im Kapitel 3 ausführlich auf die wichtigsten Anwendungsgebiete für terminologiebasierte Softwarelösungen eingegangen. Eine Darstellung spezifischer, bereits am Markt etablierter Softwarelösungen erfolgt anschließend in Kapitel 4. Die aus der Analyse entwickelten Handlungsempfehlungen werden in Kapitel 5 zusammenfassend dargestellt.