Im Verband die Energie bündeln - Fünf Fragen an Christoph Schmelter

07.02.2020

Seit 100 Tagen ist Christoph Schmelter der neue Vorstandsvorsitzende des Bundesverbands Gesundheits-IT (bvitg) Mit über 90 Mitgliedsunternehmen vertritt der Verband die führenden IT-Anbieter des Gesundheitswesens und nimmt so eine prägende und nachhaltige Position im Digitalen Wandel der Branche ein.

Herr Schmelter, als Vorstandsvorsitzender führen Sie den bvitg. Warum ist die Verbandsarbeit gerade aktuell so wichtig?

Wir erleben zurzeit mit der Digitalisierung einen Wandel, der das Gesundheitswesen grundlegend verändert. Im Krankenhaus von morgen wird die Versorgung durch IT gestützte Abläufe schneller und effizienter. Der Zugang zu mehr Informationen ermöglicht beispielsweise die Diagnosen zu verbessern und mithilfe intelligenter Software können Fehlerquoten in der Behandlung oder Medikation verringert werden. Die Verwaltung und die Abrechnung der Fälle sollten deutlich wirtschaftlicher werden und die Kommunikation der Leistungserbringer untereinander bekommt in enger Vernetzung eine ganz neue Qualität. Dabei geht künftig die Versorgung über die ambulante und stationäre Leistungserbringung hinaus.

Die vernetzte, IT-gestützte Medizin bietet hohe Potentiale zur Verbesserung der klinischen und administrativen Prozesse. Für die Gesundheitsbranche bedeutet dieser Wandel natürlich auch eine Gewichtsverlagerung: Neue Treiber erscheinen am Markt, Start-ups bringen neue Geschäftsmodelle und etablierte Arbeitsfelder verändern sich.
Verbandsarbeit kann an dieser Stelle zum nachhaltigen Erfolg eines Unternehmens wesentlich beitragen. Schließlich geht es in unserem Verband auch um die Vernetzung der Akteure untereinander; dieser Dialog fördert eine gemeinsame Strategie, die das Gesundheitswesen in diesem Wandel braucht. Statt den Markt mit Insellösungen zu fluten, fordern wir im bvitg ein gemeinsames Zielbild, das die Branche leitet. Voraussetzungen für das Gelingen des Wandels sind eine politische Vision und eine Zielperspektive, die eine verlässliche Planung ermöglichen. Viele europäische Nachbarn machen es uns vor: Sie entwarfen ein Zielbild und entwickelten daraus eine Strategie als Grundlage für zielgerichtete Maßnahmen.

Was ist nötig für ein gemeinsames Zielbild?

Wichtig ist, dass die Akteure und Stakeholder des Gesundheitssystems gemeinsam im Diskurs eine entsprechende E-Health-Strategie entwickeln – und das in einem politisch geführten und zeitlich definierten Prozess. Aus der Strategie leitet sich dann ein Aktionsplan mit konkreten Maßnahmen und Meilensteinen ab. Als Verband ist es auch unsere Aufgabe, Aufmerksamkeit herzustellen, Handlungsempfehlungen zu formulieren und Akzeptanz für neue Techniken zu fördern. Die Politik schafft dafür die entsprechenden Rahmenbedingungen. Dabei ist das Bundesgesundheitsministerium (BMG) aktuell auf einem guten Weg. Schließlich binden 16 von 18 Gesetzesentwürfen dieser Legislaturperiode die Digitalisierung mit ein. Das Terminservice- und Versorgungsgesetz (TSVG) oder das Digitale Versorgung-Gesetz (DVG) belegen aktuell gut den Willen zum Wandel. Und seit Anfang 2019 hat das BMG die Mehrheitsanteile der gematik GmbH übernommen. Diese Verantwortung des BMG für die Telematikinfrastruktur sorgt jetzt für neue Entscheidungsstrukturen und bietet somit Chancen für ein Vorankommen der Telematikinfrastruktur.

Was sind aktuell die wichtigsten Themen des Verbandes?

Um den Digitalen Wandel erfolgreich zu gestalten, sind für uns im bvitg – ebenso wie in der gesamten Gesundheitswirtschaft – die Aspekte Interoperabilität, Datenschutz und Datensicherheit von besonderer Bedeutung. Interoperabilität bedeutet die Fähigkeit von IT-Systemen zum Austausch und zum gemeinsamen Verarbeiten von Daten. Das heißt, die unterschiedlichen IT-Systeme der Akteure im Gesundheitswesen müssen miteinander kommunizieren können und zwar über die Sektorengrenzen hinaus. Große Initiativen von Herstellern und Anwendern wie IHE und HL7, in denen auch der bvitg Mitglied ist, arbeiten stetig an der Weiterentwicklung und flächendeckenden Nutzbarkeit von IT-Standards.
Neben der Kommunikationsfähigkeit spielen auch Datenschutz und Datensicherheit eine große Rolle. Gesundheitsdaten gehören zu den sensibelsten persönlichen Informationen und ihr Austausch muss entsprechend der Datenschutzrichtlinien so sicher und geschützt wie möglich stattfinden.

Werden die hohen Datenschutz-Anforderungen nicht zum Hindernis für die Digitalisierung im Gesundheitswesen?

Es wäre ein Trugschluss anzunehmen, dass lockere Datenschutzrichtlinien die digitale Transformation vereinfachen. Technologisch ist die Industrie durchaus in der Lage, datenschutzkonform die Prozesse im Gesundheitswesen durch IT-Unterstützung zu verbessern. Doch es braucht auch den konsequenten Willen, diesen Change-Prozess umzusetzen. In einer Zwischenauswertung des Analysetools Check-IT, das der bvitg gemeinsam mit dem Marburger Bund veröffentlicht hat, liegt der Durchschnitt der Krankenhäuser hierzulande auf einer Digital-Skala von 1 bis 100 Prozent bei lediglich 48 Prozent. Oft existieren beispielsweise noch digitale und analoge Prozesse nebeneinander. Die daraus resultierenden Medienbrüche erschweren die Gewährleistung von Daten- und Revisionssicherheit viel mehr, als wenn der Datenausaustausch in einem in sich geschlossenen digitalen System stattfände. Daher haben Ärzte laut Umfragen oft den Eindruck, der Datenschutz hemme die praktische Nutzenentfaltung von IT. Dabei ist es die inkonsequente Nutzung digitaler Informationen, welche die Transformation bremst. Um Patienteninformationen entlang der gesamten Behandlungskette nutzbar zu machen, bleibt also die Forderung nach einer einheitlichen digitalen Patientenakte. Voraussetzungen zur Anwendung sind auch hier wieder IT-Sicherheit, interoperable Kommunikationsstandards, Infrastruktur und Nutzerfreundlichkeit. Der Markt bietet eine Vielzahl an Lösungen und die Politik erhöht aktuell den Druck zur flächendeckenden Einführung.

Was sind Ihre persönlichen Ziele im Vorstand des bvitg?

Zunächst bin ich dankbar für das Vertrauen, das meine Kolleginnen und Kollegen im bvitg in mich setzen! Der bvitg verbindet rund 90 Unternehmen der Gesundheits-IT, die mit vielen herausragenden Innovationen und Lösungen den Digitalen Wandel vorantreiben. Diese Energie zu bündeln ist unsere zentrale Aufgabe. Ich freue mich sehr, als Vorstandsvorsitzender in diesem Sinne an der Entwicklung unseres Verbandes mitarbeiten zu dürfen.

Und in der Wahrnehmung meiner Verantwortung als mittelständischer Unternehmer für Unternehmenskontinuität inspiriert mich die Begegnung mit spannenden Themen und Protagonisten der Gesundheits-IT zusätzlich.

 

Das Interview erschien zuerst auf der DMI-Website.