Die Digitalisierung als Schlüssel für die Herausforderungen in der Pflege

16.04.2021
Nicole Westig, pflegepolitische Sprecherin der FDP—Bundestagsfraktion, im Gespräch mit Dennis Geisthardt, bvitg-Referent Politik zur Digitalisierung in der Pflege und der Bedeutung des DVPMG.

Bild: Laurence Chaperon

Warum wäre denn gerade für den Bereich Pflege eine strategische Digitalisierung dringend gefragt?

Um dem akuten Personalmangel in der Pflege begegnen zu können, benötigen wir dringend bessere Arbeitsbedingungen für Pflegende. Ein wesentlicher Schlüssel dafür liegt in der Digitalisierung, denn sie bietet ein enormes Entlastungspotential. Klug eingesetzt, kann sie helfen, den Pflegenden das zurückzugeben, was ihnen derzeit am meisten fehlt: Zeit für Zuwendung und genug Zeit, um dem eigenen Anspruch an eine optimale Patientenversorgung gerecht werden zu können.

Das bedeutet aber auch, digitale Anwendungen nicht bloß zu installieren, sondern auch für die entsprechende Vermittlung digitaler Kompetenzen zu sorgen: Und das gilt sowohl für Auszubildende als auch für die Lehrkräfte.

Hier könnten sich auch ganz neue Berufsbilder ergeben, wie zum Beispiel das des Pflegeinformatikers. Es mangelt aktuell nicht an innovativen Ideen für eine Digitalisierung der Pflege, diese müssen endlich in der Praxis umgesetzt werden.

Wie kann Digitalisierung auch die Versorgung in der Zukunft verbessern?

Gerade die Pandemie zeigt uns aktuell überdeutlich, wie schlecht die Versorgung ohne Digitalisierung funktioniert. Die Gesundheitsämter arbeiten im Jahre 2021 noch immer nicht digital genug, um eine Kontaktnachverfolgung effizient zu gewährleisten. Die pandemiebedingten komplexen Besuchsregelungen in Kliniken und Pflegeheimen laufen nur zum Teil digital genug, um die dort Tätigen entlasten zu können. Auch Testergebnisse könnten anonymisiert digitalisiert und eine Schnittstelle zur Corona-Warnapp bilden können, wenn diese denn funktionierte…

Digitale Anwendungen können helfen, damit Menschen auch mit Unterstützungsbedarf länger in ihrer Häuslichkeit bleiben könnten und außerdem zum Beispiel durch Videotelefonie ihren Beitrag für mehr Teilhabe und gegen die Einsamkeit leisten. Denn wer einsam ist, wird schneller krank und schneller pflegebedürftig.

Doch dafür braucht es nicht immer neue Teillösungen, sondern eine nationale Digitalisierungsstrategie.

Bringt das DVPMG in der vorliegenden Form aus Ihrer Sicht die Digitalisierung in der Pflege entscheidend voran?

Wir bewegen uns an der Stelle zwar in die richtige Richtung, aber nur in kleinen Schritten. Ich begrüße natürlich sehr, dass die Pflegeberatung nun auch per Video stattfinden kann – spätestens die Pandemie zeigt uns, wie schnell wir an der Stelle handlungsfähig sein müssen. Wir müssen uns allerdings fragen, ob sich die Digitalisierung in der Pflege darin erschöpfen darf. Dabei bietet sie gerade für den ländlichen Raum enorme Chancen, um den Menschen dort Zugang zu bedarfsgerechter Gesundheitsversorgung zu ermöglichen.

Bedauerlich ist, dass auch im DVPMG nicht deutlich wird, ob und wie man pflegerische Expertise in die Entwicklungsprozesse miteinbinden will. Diese ist jedoch unabdingbar, um für alle Beteiligten sinnvolle Regelungen zu finden. Wieder einmal ist die Pflege nicht adäquat eingebunden. Unbeantwortet bleibt bislang die Frage, wer ausreichend Kompetenz besitzt, um etwa die DiPAs zu verschreiben. Wenn alle diese Entscheidungen bei der Pflegekasse gebündelt werden, frage ich mich, ob die DiPAs ihre umfassende Wirkung entfalten können.

Wie bewerten Sie die gegenüber dem Referentenentwurf deutliche Kürzung des finanziellen Anspruchs der Versicherten im Zusammenhang mit Digitalen Pflegeanwendungen (DiPAs) bzw. den dazugehörigen Unterstützungsleistungen?

Natürlich müssen wir mit Blick auf das gesamte System auch die Kosten im Blick behalten. Warum aber ausgerechnet die Digitalen Pflegeanwendungen und die dazugehörigen Unterstützungsleistungen so stark gedeckelt werden, ist fraglich. Am Ende sollte der Nutzen einer Anwendung auch in den Preis miteinfließen. Darum ist an dieser Stelle eine Erprobungsphase, mit anschließender Kosten-Nutzen-Analyse wichtig. Mit der vorgesehenen Regelung ist es für viele Anwendungen schlicht gar nicht möglich, eine Entwicklung zu finanzieren. Das schreckt innovative Unternehmen ab und lässt gute Ideen gar nicht erst zur Ausgestaltung kommen. Und es vermittelt den Eindruck, dass Pflege weder besonders stark von Innovationen profitieren kann, noch, dass man großes Potenzial in den Anwendungen sieht.

Für mich ist das das falsche Signal, denn die Anzahl der Menschen mit Pflegebedarf wird künftig massiv ansteigen und in der Digitalisierung liegt ein Schlüssel und großes Potential, um der damit verbundenen Herausforderung adäquat zu begegnen.

 

Dieser Text erschien zuerst in der Ausgabe 02/03|2021 der E-HEALTH-COM.